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Nachtwanderung mit Dick auf der Suche nach Reptilien
Nachtwanderung mit Dick auf der Suche nach Reptilien

Suriname – Reise in ein unbekanntes Land

Text und Bilder: Birgit Blumenstiel, Reisezeit November 2018 | Erschienen im Trotter 198

Wohin?? Ist das Indonesien? Oder doch Afrika?
So oder so ähnlich waren die Reaktionen von Freunden und Bekannten, als wir unser neues Reiseziel auserkoren hatten – Suriname.  Auf der touristischen Landkarte ist Suriname praktisch nicht vorhanden. Aber auf unserer Suche nach eben einem touristisch wenig erschlossenen und vom Klima her warmen Reiseziel sind wir schließlich über das kleinste Land von Südamerika gestolpert – das aber so gar nicht südamerikanisch ist.

Ankunft in den Tropen

Bauxit-Mine vom Buschflieger aus
Bauxit-Mine vom Buschflieger aus

Innerhalb neun Stunden vom herbstlich kühlen Deutschland ins tropische Suriname. Am internationalen Flughafen »Johan Adolf Pengel« in Zanderij steigen wir über eine Treppe aus der Boing 747 aus, die feucht-heiße Luft trifft uns wie eine Wand. Zusammen mit hunderten anderen Flugpassagieren spazieren wir unter den noch laufenden Triebwerken durch und über das offene Flughafengelände zum Abfertigungsgebäude. Alles ist hier sehr übersichtlich, alles wird mit der Hand gemacht. Unser Flieger ist gerade der einzige am ganzen Flughafen. Die Einreise ist unkompliziert aber langwierig, da auch nur ein Beamter die Pässe für alle Fluggäste kontrolliert…
Die Hauptstadt Paramaribo (Betonung auf dem dritten A) hat nur wenige »Backpacker«-Unterkünfte, daher haben wir die erste Nacht vorreserviert. Die Fahrt vom Flughafen bis nach Paramaribo dauert gute zwei Stunden für 45 Kilometer. Und das, obwohl unser Fahrer den ersten Teil der Strecke wie besessen die schlaglochübersäte Landstraße entlang rast und waghalsige Überholmanöver durchführt. Schon viele Kilometer vor der Stadt stehen wir dann im üblichen Stau auf der einzigen Straße gen Süden. Die fast dörfliche Hauptstadt ist mit ihren wenigen Ausfallstraßen der großen Anzahl an Kfz nicht gewachsen. Bis wir im Guesthouse ankommen ist es dunkel. Wir sind die einzigen Gäste.

Indianer und Touristen

Gleich am nächsten Morgen verlassen wir Paramaribo auch schon wieder. Unser Ziel ist der bei den indigenen Völkern heilige Berg Kasikásima, weit im Innern des Landes, mitten im Dschungel. Der Name bedeutet so viel wie »Haus der Herrscher«. Eine Mehrtagestour, die wir aus Kosten- und Zeitgründen zusammen mit vier anderen Personen bei einem Tour-Anbieter gebucht haben. Bei unseren bisherigen Touren im Regenwald waren wir immer individuell mit nur einem selbständigen Guide unterwegs und haben uns »wild« durchgeschlagen. Mit einem kleinen Buschflieger geht es vom Flughafen »Zorg een Hoop« nach Palumeu (gesprochen Palü-mö), dem Ausgangspunkt für die Tour. Palumeu ist ein Indianerdorf der Trio und Wajana mit circa 300 Einwohnern, mit einem Airstripe und einer kleinen, einfachen Lodge. Im Dorf selbst übernachten dürfen wir leider nicht. Man soll auch nicht ohne Begleitung eines Tour-Guides in das Dorf gehen, die Dorfbewohner mögen das angeblich nicht – dafür gibt es spezielle »Führungen« vom Tour-Operator aus. Da wir uns aber im Vorfeld erkundigt haben und es kein Verbot gibt, begeben wir uns nachmittags alleine auf den Weg ins Dorf. Wir werden nicht warmherzig begrüßt, aber auch nirgends feindselig vertrieben. Manche Dorfbewohner ignorieren uns einfach, manche grüßen auch. Eine Familie lädt uns dann sogar ein zuzusehen, wie sie gerade Cassava-Brot herstellt und stolz geben sie uns von ihrem Tarubá (Getränk aus Cassava) zu probieren. Verbale Kommunikation ist leider nicht möglich, da die Amerindios (wie die Regenwald-Indianer genannt werden zur Unterscheidung zu den eingewanderten Indern, den »Indios«), nur ihre eigene Stammessprache sprechen. Die Menschen in diesem Dorf leben bei Weitem nicht mehr so traditionell wie wohl vor einigen Jahrzehnten noch. Sie tragen westliche Kleidung, es gibt Strom aus dem Generator, Mobilfunk und das Smartphone ist weit verbreitet. Es gibt eine Schule und einen Bolzplatz.  Viele waren auch schon öfter in der Stadt gewesen. Dennoch sind traditionelle Lebensweisen erhalten geblieben, insbesondere die Ernährung von Jagd und Cassava – schon allein durch den großen räumlichen Abstand zur westlichen Zivilisation. Palumeu liegt eine Flugstunde von Paramaribo entfernt und ist ansonsten nur über mehrere Tage per Boot erreichbar. Schließlich müssen wir dann vom Dorf zurück in unser Touristen-Ghetto, die Lodge, wo auch extra für die Touristen gekocht wird – deutlich westlich angehaucht, versteht sich. Außer uns ist noch eine große Touristengruppe da. Und spätestens beim Abendessen wird klar, dass das übliche Klientel hier ältere, wohlhabende Herrschaften sind, die mit Sicherheitsgarantie und Komfort die »echte« Wildnis erleben wollen, indem sie sich mit Schwimmwesten zum Baden fahren lassen, in Bermudashorts und weißen Tennis-Socken auf einer planierten Fläche Bogenschießen üben und sich abends mit Spiegelreflex-Kamera bewaffnet im Dorf die dargebotene Touristen-Show der »Wilden« ansehen, um dann zu Hause erzählen zu können, dass die tatsächlich noch in Lendenshorts und mit Kriegsbemalung rumlaufen. Nun wird auch verständlich, warum die Dorfbewohner sich solchen touristischen Besuch außerhalb der Showzeiten vom Halse halten wollen…

Dschungel soweit das Auge reicht

Herrlicher Ausblick von Kasikasima Richtung Brasilien
Herrlicher Ausblick von Kasikasima Richtung Brasilien

Wir sind froh, am nächsten Morgen aufzubrechen, Richtung Kasikasima. Auch diese Tour ist nicht frei von touristischen Merkmalen. Andreas und ich sind die einzigen »normalen« Touristen von unserer Gruppe. Die anderen Vier sind Holländer, die sich wegen Job oder Studium länger im Land aufhalten. Einer unserer Guides spricht Englisch, er ist bei unserem Tour-Operator angestellt. Der erste Teil der Strecke ist ausschließlich Fahrt mit dem Kanu den Tapanahoney-Fluß hinauf. Ist der Fluß zunächst breit und ruhig, mit gelegentlich gerodeten Flächen oder Bananenhainen am Ufer, so wird er nach und nach immer schmäler und die Stromschnellen und flachen  Passagen mehren sich. Von menschlicher Besiedelung keine Spur mehr. Am Ufer nur noch eine grüne Wand. Oft müssen wir das Boot über Felsen oder kleine Stromschnellen ziehen und tragen. An einer unüberwindbaren Stromschnelle wird das Boot gewechselt, d.h. wir entladen das Boot, tragen das Gepäck ein paar Hundert Meter über einen Hügel und besteigen dann ein anderes Boot, das ein Stück flussaufwärts bereit liegt. An den vorgesehenen Übernachtungsplätzen finden sich vorgefertigte Camps, bestehend aus offenen Holzhütten zum Kochen, Essen und Schlafen in Hängematten. Sogar ein Klohäuschen mit Toilettenschüssel gibt es. Dann irgendwann, wir sind immer noch auf dem Fluß unterwegs, der erste Blick auf Kasikasima. Im Dunst des Abends erscheint der mächtige Berg mit seinen dutzend Gipfeln wie ein mystisches Wahrzeichen am Horizont.
Die letzten Kilometer ist am nächsten Tag Trekking angesagt. Innerhalb eines Tages steigen wir auf und auch wieder ab. Die Strecke ist nicht allzu lang und durch einen gepflegten Pfad leicht begehbar, nur der letzte Teil ist sehr steil. Unterwegs erklären die Guides einiges über Pflanzen und Tiere des Regenwaldes. Und dann treten wir recht unvermittelt aus dem düsteren Wald heraus, auf eine offene Felsplattform und stehen circa 500 Meter über einem grünen Meer aus Urwaldriesen, das sich in jede Richtung bis zum Horizont erstreckt. Gigantisch. Ein erhabenes Gefühl, das zugleich Demut lehrt. Irgendwo in 60 Kilometern Entfernung ist schon die Grenze zu Brasilien.

Wieder zurück in Palumeu werden wir – naß, verdreckt, barfüßig – beim Ausladen der Boote von den weiß-sockigen Beachclub-Touristen wie Außerirdische beäugt. Am Nachmittag holt uns der Flieger wieder ab. Ein mulmiges Gefühl bleibt aber, wenn wir über die indigene Bevölkerung dort nachdenken. Ist es wirklich noch, wie es aussieht, ein selbstbestimmtes Leben nach Traditionen oder wie so oft verloren zwischen den Welten? Leben sie von oder trotz der Touristen? Was würden diese Menschen gerne ändern, wenn sie es könnten?? Wie sehen sie die Situation aus ihrer Sicht? All das konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen – mangels Sprachkenntnissen und auch weil die englisch-sprechenden Guides der Tour-Anbieter nicht darüber reden wollen oder dürfen.

Frösche und Schlangen

Nachtwanderung mit Dick auf der Suche nach Reptilien
Nachtwanderung mit Dick auf der Suche nach Reptilien

Nach kurzem Zwischenstopp in Paramaribo sind wir dann wieder unterwegs in den Dschungel. Diesmal mit Dick, dem »Schlangen-Mann«. Mit ihm sowie einem Holländer und einem Deutschen auf »Work and Travel« fahren wir über Brownsberg zum kleinen Saramacca-River. Dick ist Holländer, spezialisiert auf Reptilien, lebt seit einigen Jahren in Suriname und unterstützt seinen Freund Fred im Öko-Tourismus Geschäft. Fred ist Maroon, also ein Nachfahre der afrikanischen Plantagen-Sklaven, denen die Flucht gelungen ist und die über ein Jahrhundert versteckt im Dschungel überlebt haben. Dick hat Fred in seinem Dorf mitten im Regenwald kennen gelernt, als Dick ein paar Wochen alleine unterwegs war zur Erforschung von Schlangen. Die beiden hatten sich angefreundet und sich später gemeinsam auf eigene Faust monatelang durch den Regenwald geschlagen, um schöne Fleckchen für sanften Tourismus zu suchen. Gefunden haben sie einen Berg mit zwei Aussichtspunkten – den Fredberg. Und dieser Berg ist nun auch unser Ziel. Schon bei der gemeinsamen Anfahrt zum Saramacca-Fluß erfahren wir sehr viel und sehr Interessantes über Land und Leute, über Politik und was die Menschen hier so bewegt. Vier Tage verbringen wir am, auf und rund um den Fredberg. Und obwohl die Landschaft längst nicht so spektakulär ist wie bei Kasikasima, wirkt hier alles lebendiger und natürlicher. Wir bauen eigene Übernachtungs-Camps, baden im Fluß, kochen am Lagerfeuer, unternehmen Tages- und Nachtwanderungen zur Tierbeobachtung, sehen unzählige Frösche, Schlangen (eine hat uns direkt im Lager besucht), Spinnen, Skorpione, einen Kaiman, Affen, Vögel und sogar mehrere »Cock of the Rock«.

Städtisches Leben

Übernachtung im Dschungel in selbst gebautem Camp
Übernachtung im Dschungel in selbst gebautem Camp

Nach fast zwei Wochen Dschungel brauchen wir dann mal eine Pause und verbringen ein paar Tage in Paramaribo. Die Hauptstadt gibt sich gar nicht so, wie üblicherweise große Städte in sogenannten Entwicklungsländern sind: laut, verdreckt, versmogt, vollgestopft mit Menschen, Mopeds, Eselskarren, am Rande große Slumgebiete. Nein, Paramaribo hat ein ganz anderes Erscheinungsbild. Man fühlt sich eher wie in einer amerikanischen Vorstadt-Siedlung. Auf dem Reißbrett geradlinig angelegte Straßenzüge, wo einfache Holzhäuser stehen, manchmal mit einem kleinen Gartengrundstück dabei. Die Straßen sind breit, der Verkehr geregelt, die Fahrzeuge unspektakulär. In der Innenstadt stehen größere Holzhäuser mit Balkons und Veranden dicht an dicht, manche auch mit deutlichen Spuren von Zerfall, da die Mietpreise hoch sind und vieles leer steht. Die Uferpromenade am Suriname-River ist einfach und nur mit ein paar Restaurants bestückt. Ein kleiner Bereich im Zentrum hat westlichen Großstadt-Charakter, wo sich Einkaufszentren, Passagen, Geschäfte und Banken aneinander reihen. Alles Interessante in der Innenstadt ist fußläufig zu erreichen.
Verwahrloste Bettler, bettelnde Kinder oder auch nur aufdringliche Händler haben wir nirgends getroffen, lediglich hier und da ein offenbar Obdachloser, der unter der Veranda eines leerstehenden Hauses übernachtet und bei Sonnenaufgang verschwunden ist.

Wir haben das Glück, zum Unabhängigkeitstag am 25. November in Suriname zu sein. Den Tag selbst können wir leider nicht in der Hauptstadt verbringen, aber die Feierlichkeiten auf der Straße beginnen bereits ein paar Tage vorher. Und so kommen wir in den Genuss eines unglaublichen Multi-Kulti-Treibens, wie wir es in der Art noch nie erlebt haben. Um das zu verstehen, muss man sich die historische Geschichte des Landes ein wenig genauer betrachten. Die ursprüngliche Kultur auf diesem Fleckchen Erde war geprägt von den Regenwald-Indianern, den Amerindios. Diese Kultur ist, wie leider allzu oft in der Geschichte der Kolonialisierung, nahezu verschwunden und spielt im heutigen öffentlichen Leben keine Rolle mehr. Zu Beginn der Plantagen-Wirtschaft durch die Kolonialmacht Niederlande  wurden Schwarzafrikaner, zumeist aus Ghana, als Sklavenarbeiter nach Suriname verschleppt. Nach Abschaffung der Sklaverei setzte ein Arbeitermangel auf den Plantagen ein. Daher warb man in den folgenden Jahrzehnten systematisch Arbeitskräfte aus anderen Erdteilen an, hauptsächlich Chinesen, Inder, Javaner und Araber. Die heutige Bevölkerung setzt sich zusammen aus den Nachfahren all dieser ehemaligen Plantagenarbeiter und einigen Holländern. Es gibt also keine alteingesessene Kultur mehr, kein »typisch surinamesisch«. Das Typische ist eben genau diese Mischung als Vielem. Und weil das alle gemeinsam haben – alle leben letztlich als Einwanderer in einem ihrer Kultur eigentlich fremden Land – harmoniert das wunderbar. Man respektiert sich gegenseitig, man lässt sich in Ruhe und man feiert auch mal gemeinsam. So wie am Unabhängigkeitstag. Da applaudiert eine Rocker-Bande der chinesischen Trachten-Tanzgruppe, während ein paar bekiffte Jamaikaner zu Bob-Marley-Musik durchs Getümmel tappsen und am Straßenstand indische Currys und westliche Cocktails verkauft werden. Da feiern die Juden eben mal in der Moschee ein Fest, weil ihre Synagoge gerade Wasserschaden hat. Da verbrennen die Hindus ihre Verstorbenen am Strand, während die Christen nebenan einen Gottesdienst abhalten.

West Suriname Plan – eine Reise in die Vergangenheit

Alte Wartungshalle vom West Suriname Plan
Alte Wartungshalle vom West Suriname Plan

Die letzten verbleibenden Tage fahren wir nach Apoera (gesprochen Apúra) an der Grenze zu Guyana. Wir sind mit Manú und seinem Pick-Up unterwegs. Die Fahrt von Paramaribo nach Apoera dauert gute neun Stunden und führt eine 300 Kilometer lange, einsame Piste entlang, durch Savanne und Regenwald. Apoera wird zwar mit circa 3000 Einwohnern als Stadt bezeichnet, ist aber im Grunde ein Dorf. Wiederum systematisch auf dem Reißbrett geplant gibt es gepflasterte Straßen mit Holzhäusern und Gärten, eine Tankstelle und zwei kleine Supermärkte. Das Örtchen wirkt wie im Dornröschenschlaf. Fast alles ist noch original erhalten aus den 70er Jahren.
Apoera war Teil des »West Suriname Plan« und sollte neben Paramaribo das zweite große Zentrum des Landes mit über 50.000 Einwohnern werden. Als Wirtschaftsfaktor sollte eine Bauxit-Mine  in den 80 Kilometer entfernten »Backhuis Hills« dienen. Das Bauxit sollte per Eisenbahn zum Corantijn-River transportiert werden. Die Finanzierung erfolgte durch ein millionenschweres Geldgeschenk, welches die Niederlande dem neuen Staat Suriname zu dessen Unabhängigkeit gemacht hat. Das Geld ist allerdings zweckgebunden an eben diesen »West Suriname Plan«. Zur Umsetzung wurde Apoera aus dem Boden gestampft und Menschen aus Paramaribo angelockt. Die Bahnstrecke wurde gebaut und mehrere riesige Wartungshallen. Alle Maschinen waren bereitgestellt. Es fehlte nur noch die Erschließung der Mine an sich. Dann wurde unvermittelt aufgrund des Militärputsches im Jahre 1980 die Finanzierung durch die Niederlande eingestellt – und bis heute nicht mehr aufgenommen. Und so war von einem Tag auf den anderen alles dem Verfall preisgegeben. Wer konnte, verließ den Ort und ging zurück nach Paramaribo. Wer keine Mittel mehr hatte für einen Neuanfang, der blieb und lebte von der Jagd.

Was wir heute vorfinden, sind der verschlafene Ort und die zu Ruinen verfallenen Hallen, die von der Natur zurück erobert werden. Eine Art Angkor Wat aus Stahl. Über zugewucherte Schleichwege, die wir ohne Manú wohl kaum entdeckt hätten, finden wir die Überreste der Wartungshallen, die nur noch von Fledermäusen und schießwütigen Jugendlichen aufgesucht werden. Es ist emotional, an einem derart geschichtsträchtigen Ort zu sein. Was Apoera heute noch am Leben hält, ist eine Holzfirma, die von dort die gefällten Stämme über den Corantijn-River verschifft. Es blutet uns das Herz, diese herrlichen, wahrscheinlich uralten Stämme zu Hunderten dort liegen zu sehen. Von der Ferne sehen wir Arbeiter, wie sie per Hand mit der Motorsäge aus einem riesigen Baumstamm kerzengerade Bretter nach Maß heraus sägen.

Auf dem Rückweg von Apoera nach Paramaribo machen wir noch einen Abstecher zu den Wasserfällen »Blanche Marie«, wo wir im ganzen Camp, das in der Hochsaison wohl mehrere hundert Gäste in etlichen hammock-huts beherbergt, ganz alleine sind. Da wir Ende der Trockenzeit haben, wurde uns im Vorfeld von einem Besuch dieser Wasserfälle abgeraten, da sie angeblich kein Wasser enthalten. Das stimmt so nicht ganz. Zwar ist es keine geschlossene Wasserfront, die sich in Kaskaden einige Meter den Fels hinab stürzt. Aber uns gefällt es mit den einzelnen Wasserströmen und den karstigen Felsen dazwischen sehr gut. Ein schöner Abschluss, der uns den Abschied von Suriname wieder mal nicht einfach macht…

Birgit und Andreas
Birgit und Andreas
Deutsche Zentrale für Globetrotter e.V. [dzg]

Info Box Suriname

Da die allgemeinen Länderinfos überall nachzulesen sind, möchte ich hier haupt-sächlich Erfahrungen von unserer eigenen Reise weiter geben, die daher nicht allgemeingültig sein müssen.

Allgemein
Suriname, das kleinste Land Südamerikas und seit 1975 von den Niederlanden unabhängig, wirkt vom Charakter her wie ein Afrika-Karibik-Europa Mix. Ca. 85% der Fläche sind unerschlossener tropischer Regenwald, überwiegend Primärwald, wobei auch hier schon illegale Rodung  und Bauxit-Abbau beginnen. Die Bevölkerungsstruktur des extrem dünn besiedelten Landes ist stark multi-kulturell. Obwohl die Amtssprache Niederländisch ist, sprechen viele Amerindios (Regenwald-Indianer) und Maroons (Nachfahren schwarzafrikanischer Sklaven) nur ihre Stammessprache.
Kriminalität haben wir als sehr gering bzw. nicht vorhanden erlebt. In abgelegenen Gebieten ist Campen mit Hängematte kaum ein Problem.
Individuelles Reisen ist möglich, sofern man viel Zeit hat, teilweise auch das nötige Geld (für Flüge oder Boote). Für hartgesottene Individual-Traveller mit eigenem (Falt-)Boot, die wildes Campen nicht scheuen und viel Zeit mitbringen, ist Suriname aufgrund der geringen Kriminalität sicher ein El Dorado. Für schnelles und günstiges Reisen empfiehlt sich, eine Tour vor Ort zu buchen oder einen selbständigen Guide zu engagieren.

Backpacking
In der Küstenregion und bis zum Brokopondo-Stausee ist klassiches Backpacking kein Problem. Es gibt staatlichen Busverkehr und private Minibusse. Um an bestimmte Sehenswürdigkeiten zu kommen, muss man aber oft noch einige Kilometer laufen, per Anhalter oder mit dem Taxi fahren.
Unterkünfte findet man in größeren Orten. Klassische Backpacker-Unterkünfte sind aber eher selten und obwohl in den Reiseführern für Paramaribo einige angegeben sind, fanden wir viele verschlossen vor oder nur mit Telefon-Zettel an der Tür. In kleineren Orten (z.B. Apoera) gibt es keine offiziellen Unterkünfte bzw. sie sind nicht als solche erkennbar/ausgewiesen. Hier muss man sich durchfragen oder die Kontaktdaten im Vorfeld besorgen. In ganz kleinen Orten (z.B. Witagron) gibt es gar nichts, man muss bei Einheimischen anfragen oder wild campen.
Typische Garküchen findet man in Suriname nicht, aber in Paramaribo gibt es viele Imbiss-/Snack-Stände und Roti-Shops mit sehr günstigem und gutem Essen. In kleinen Ortschaften (z.B. Witagron oder auch Apoera) gibt es kaum oder keine öffentlichen Verpflegungsmöglichkeiten.
Um tiefer in den Regenwald hinein zu gelangen (südlich von Brokopondo) oder auch an touristische Orte abseits der Busrouten (dazu zählen auch schon Ananavero Falls oder Raleigh Falls), ist man auf ein Fahrzeug, Kanu und/oder Flugzeug angewiesen. Am einfachsten kann man das über einen der unzähligen Tour-Anbieter buchen.
Wenn man eigenständig reisen möchte, kann man auch versuchen, sich selbst ein Kanu mit Bootsführer bei den Einheimischen zu organisieren (z.B. in Brownsberg,  Atjoni oder Witagron). Am besten soll sich für individuelle Backpacker-Touren im Dschungel der Upper-Suriname-River eignen, wo es in Tagesentfernungen immer touristische Unterkünfte gibt.

Indigene Dörfer
Bei allen touristisch bekannten Maroon- oder Indianerdörfern tief im Dschungel gibt es auch eine touristische Unterkunft in Form von Hütten, Gemeinschaftshaus mit Zimmern oder hammock-hut (Hängematten-Camp). Einige sind auch direkt im Besitz von einem Tour-Anbieter.
Üblicherweise werden diese Lodges und Dörfer im Rahmen einer gebuchten Tour besucht, worauf die Dörfer auch eingestellt sind. Ein touristisches Showprogramm und Souvenierverkauf sind inbegriffen, echte authentische Gastfreundlichkeit sollte man eher nicht erwarten.
Wenn man individuell anreist, sollte man zumindest in der Hochsaison vorab die Unterkunft kontaktieren und ggf. reservieren.
Grundsätzlich kann es auch möglich sein, in einem indigenen Dorf (touristisch erschlossen oder auch nicht) direkt bei den Dorfbewohnern in der Rundhütte zu übernachten, wenn man sich alleine bis dahin durchgeschlagen hat. Allerdings haben wir niemanden getroffen, der dies gemacht hat. Auf jeden Fall ist es sicher hilfreich, ein wenig die Stammessprache zu sprechen, denn die indigenen Dorfbewohner sprechen i.d.R. weder Holländisch noch eine andere Fremdsprache.

Fliegen
Um in kurzer Zeit in den tiefen Regenwald zu gelangen, muss man fliegen. Die Fluggesellschaften Gum Air und Blue Wing fliegen von Paramaribo aus (Zorg een Hoop)  bestimmte Destinationen an. Blue Wing steht auf der schwarzen Liste. Es gibt einen offiziellen Flugplan (kann ich auf Nachfrage für Gum Air zur Verfügung stellen). Eine Destination wird alle paar Tage  oder einmal die Woche angeflogen. Allerdings kann man nicht einfach „normal“ einen Sitz in einer Maschine buchen, wie uns die Fluggesellschaft auf Anfrage mitteilte. Es muss immer die ganze Maschine gebucht werden, die i.d.R. bereits durch die Tour-Anbieter belegt sind. Ggf. kann man hier bei den Tour-Operatoren nachfragen, ob noch ein Platz frei ist oder direkt am Flughafen einen Flug abpassen und sich dann preislich einigen. 

Tour-Anbieter und Guides
Es gibt jede Menge Tour-Anbieter in Suriname, aber nur eine begrenzte Anzahl Guides, die fest angestellt sind. Und fast alle Anbieter haben dieselben Touren und bedienen sich derselben Guides. Der größte Tour-Anbieter ist METS, ihm sind auch folgende Touren vorbehalten (egal, wo man bucht, sie werden von METS durchgeführt): Kasikasima, Palumeu, Gran Rio, Awaradam. Kabalebo ist ein privates Resort und jede organisierte Anreise erfolgt über das Resort selbst. Als Guides können wir empfehlen Dick Lock und seinen Freund Fred Pansen von Freds Eco Tours.
Ebenso Su4You, ein Anbieter, der bei Studenten sehr beliebt ist und der auch versucht, individuelle Wünsche zu erfüllen oder Kontakte herzustellen.
http://www.herpingsuriname.com/
https://www.fredecotours.nl/
https://www.suforyou.nl/
Von den Standard-Anbietern hatten wir einen guten Eindruck von Discover-Suriname (spezialisiert auf den Westen) und Orange Travel.
Kontaktdaten zu selbständigen Guides oder long-distance Taxifahrer können bei mir angefragt werden.

Tipps
Taxi-App 1660: http://www.stc1660.com
Mobil-Anbieter:  TeleSur (besser im Interieur) und DigiCel (besser im Küstenbereich)
Geldautomaten: viele in Paramaribo, außerhalb so gut wie keine. Master wird überall,  Visa selten akzeptiert. Der Höchstbetrag liegt i.d.R. bei 1500 SRD oder 2000 SRD. Es gibt auch 2 Automaten, an denen man Euro abheben kann. In größeren Geschäften in Paramaribo und in Guesthouses kann man mit Euro bezahlen, auf Märkten oder an Straßenständen nicht.
Reiseführer: Es gibt keine deutsch-sprachigen Reiseführer zu Suriname. Es gibt zwei englisch-sprachige, Bradt und Footprint. Wir hatten Bradt. Er ist gut für einen Überblick und allgemeine Informationen, beinhaltet aber praktisch keine wirklich nützlichen Infos für individuell Reisende. Am besten ist die Recherche im Internet in holländischer Sprache.

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